Lebenslinien
Wir alle haben unsere Lebenslinien, auf denen wir uns wie auf einer Fahrt durchs Leben bewegen. So ist unser aller Lebensfahrt vergleichbar mit einer Fahrt eines Zuges. Wir finden uns in ihm mit unserer Geburt vor. Und einmal wird unsere Fahrt in dieser Welt endgültig zu Ende sein. Dazwischen gibt es viele Halte, wo Menschen in unser Abteil zusteigen, andere uns wieder verlassen. Und manchmal geht es langsam voran oder zu eintönig, manchmal fast zu schnell, oft mit viel Freude, aber auch mit Getöse, leider auch mit Schmerz.
Unser Zug fährt auf dem Gleis des Glaubens an Gott. Auf anderen Strecken zu fahren ist für uns genauso unvorstellbar wie der Aufenthalt in anderen Wagen als dem mit Namen „evangelische Kirche“. In diesem Zug, vor allem in diesem Wagen begegnen wir vielen Menschen. Mit unserer Familie, weiteren Verwandten und lieben Freunden bewohnen wir ein Abteil, sind besonders füreinander da und machen manches zusammen. Doch geht jeder auch seinen eigenen Interessen und Hobbies nach: der Musik, dem Nachsinnen biblischer Texte, Vereinstätigkeit, dem Fotografieren und vielem mehr.
Mit dieser Internet-Seite gewähren wir einen winzig kleinen Einblick in unser Abteil.
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Gedanken zum Monatsspruch September 2023, Mt 16,15
Das heitere Beruferaten mit dem Titel „Was bin ich?“ mit Robert Lembke, das war vor allem in den Jahren 1961 bis 1989 eine äußerst beliebte Sendung im deutschen Fernsehen. Ein Rateteam musste Ja-Nein-Fragen stellen, um auf diese Weise schließlich die Berufe der sieben Gäste herauszufinden.
Um ein heiteres Beruferaten ging es bei Jesus nicht, als er seine Jünger fragte: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? (Mt 16,15 – Monatsspruch für diesen Monat). Seine Frage bezieht sich nicht auf sein Tun, sondern auf seine Person. Nicht, was bin ich, sondern: Wer bin ich? Als wen bezeichnet ihr mich? Für wen haltet ihr mich? Darum geht es bei seiner Frage. Etliche Leute hielten ihn für den Propheten Elia, andere für Johannes, den Täufer, wieder andere für den Propheten Jeremia oder einen anderen Propheten.
Nun jedoch will Jesus wissen, für wen sie ihn halten. Um eine solch persönliche Fragestellung kommt niemand herum, wie es übrigens immer ist, wenn wir Personen näher begegnen. „Wer ist denn der oder die?“, fragen wir uns dann. Hier aber stellt Jesus diese Frage, die im Grunde genommen jeder, dem Jesus in irgendeiner Weise durch seine Botschaft und sein Wirken begegnete, für sich selbst schon beantwortet hat. Jesu Frage zielt darauf, zu bekennen, wer er ist, auszusprechen, wer er für mich persönlich ist. Die Jünger, die ihn während seines Wirkens begleitet haben, sollen nun Rechenschaft abgeben, an wen sie glauben.
Das ist natürlich auch eine Frage an uns: Wer bin ich, Jesus, für dich? Ein Fachmann für Religionsfragen, ein Religionsstifter, ein Moralist, ein Apokalyptiker, ein Vorbild für Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit, ein idealer Sozialdemokrat, ein Blender, ein Wunschbild, eine Fiktion usw.?
Erfurt: Elektra - Premiere am 08.10.2022
Wenn sich der Vorhang öffnet, blickt man in einen bühnenfüllenden und bis auf die Hinterbühne reichenden grauen (Autobahn-)Tunnel mit Seitenausgängen rechts und einem kleinen Seitenpodest links, dessen Zugänge in die Welt der Chrysothemis führen.
Die fünf Mägde sind als Tunnelarbeiterinnen kostümiert, Elektra ist mit ihrem Koffer beschäftigt, in dem sich das Beil und der Mantel von Agamemnon befinden, den sie überstreift, bis Orest sie daraus befreit.
Gleich ein mehrfaches Déjà-vu! Der Tunnel und die wie Tunnelarbeiter kostümierten Nibelungen im Berliner Götz-Friedrich Ring; Koffer und Mantel für Elektra, der Rollstuhl für Klytämnestra wie in Lauffenbergs Wiener Elektra-Inszenierung. Sie alle passen, szenisch wie musikalisch, hier. Vor allem der Tunnel(trichter) entspricht der monumentalen Klangfülle und wirkt zugleich stimmenverstärkend.
Die die düstere, spannungsgeladene Bedrohung, die sich schon am Beginn in dem mächtigen Orchesterschlag (d-moll-Akkorde, Agamemnon-Thema) manifestiert, brach im Verlauf jedoch immer wieder ein. Für mich jedenfalls hat sich die sprichwörtliche „soghafte Wirkung“ zwar bildlich, aber musikalisch nur phasenweise eingestellt. Wohl vor allem deshalb, weil Alexander Prior, 29 und neuer GMD des Philharmonischen Orchesters Erfurt, verstärkt durch Mitglieder der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, an einigen Stellen auffällig langsame Tempi wählt. Auffällig in Elektras Monolog, späterhin fallen Generalpausen als spannungsstörend auf und vor allem die zu getragen zelebrierte Schlusstakte.
Es war Jessica Rose Cambio, als Chrysothemis die mit ihrem Auftritt für den ersten Spannungsschub des Abends sorgte. Die Partie liegt voll in ihrer stimmlichen Reichweite.
Erfurt 01.03.2020: Lohengrin
„Ein Wunder! Ein Wunder! Ein Wunder ist gekommen…“
Für die Protagonisten, Margrethe Fredheim und Uwe Stickert, grenzt es vielleicht wirklich an ein Wunder, dass sich ihre Herzenswünsche, Elsa und Lohengrin singen zu dürfen, erfüllt haben. Es ist für beide die erste Wagner-Partie und die Debüts gelangen!
Uwe Stickert kenne ích seit vielen Jahren als Solist in Oratorien, Passionen, Kantaten und Motetten und staunte, als ich von seiner Besetzung erfuhr. Da erst begann ich zu realisieren, dass er quasi „nebenbei“ eine sehr kluge Entwicklung im Bereich der Oper genommen hat: über Rodrigo, Ferrando, Ernesto (Weimar), Tamino, Belmonte (Weimar und Erfurt), Don Ottavio (Münster), David , Steuermann (Budapest), Titus und Idomeneo (Würzburg ), Flamand (Innsbruck), Heinrich (Lanzelot) in Weimar und Erfurt und einige weitere Rollen aus dem französischen Repertoire (Gounod, Meyerbeer). Uwe Stickert ist längst in der Oper angekommen. Im März folgt der Florestan in Cottbus.
Seine helle Stimmfarbe mit metallischem Kern, der zur Attacke fähig ist, seine perfekte Phrasierung, seine strahlenden nie gefährdeten Höhen und absolute Wortverständlichkeit machen seinen Lohengrin zum Genuss!
Margrethe Fredheim als kongeniale Partnerin mit schon nicht mehr „nur“ lyrisch-leichtem, sondern starkem, strahlendem Sopran meistert die Partie ebenso gut. Wie richtig, dass Intendant Guy Montafon ihr sie zugetraut hat. Es ist die bisher größte Rolle der gebürtigen Norwegerin, die seit der Spielzeit 2015/16 zum Erfurter Ensemble gehört.
In einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 31.1.2020 ist nachzulesen, dass Wagner für sie überhaupt der Grund gewesen sei, warum sie Sängerin wurde – nach einer Tannhäuser-Aufführung in Oslo war das alternativlos. Aber der große Respekt vor ihm ist geblieben. Drei Stunden ist Elsa auf der Bühne, da sind volle Präsenz und Konzentration erforderlich. Optisch bleibt sie in der Inszenierung, anfangs barfuß im weißen Kleid, die Menschlichste unter seltsam gleichgeschaltet wirkenden „Cyborgs“ der Zukunft.
Weimar 12.05.2018: Tannhäuser
Es gibt doch noch Neues unter der Sonne! Zumindest, was den Venusberg betrifft. Meinte ich noch, schon alles gesehen zu haben - das rüschige Boudoir (sehr oft!), die pure Rotlichtszene, aber auch eine Venus im Tierkäfig (Baumgarten, Bayreuth), als männermordender Vamp in einer riesigen goldenen Schale (die Dresdner sagten „Suppenschüssel“ dazu) und in einem Berg von Fleisch (aktuelle Münchner Inszenierung von R. Castellucci) - so wurde ich von Maximilian von Mayenburg eines Besseren belehrt.
Als sich der Vorhang zum Baccanal öffnet, starre ich ungläubig auf kugelrunde, große, rot geäderte Eier. Plötzlich zuckt es in einem Ei und es beginnt ein Schlupfvorgang, nach und nach auch in den anderen zehn oder zwölf. Dazwischen sitzt Venus (Sayako Shigeshima) in einem weiten, roten, mit Rosenapplikationen verzierten Rock und schaut mit seligem Lächeln zu. Sie schlüpfen - und wie sie schlüpfen! Mit welcher Mühsal und Grazie zugleich sie sich der Latex-Eihüllen entledigen, dafür verdient die Statisterie besonderen Applaus! Schade, dass ich darüber die Musik gar nicht mehr wahrgenommen habe, ihr Pulsieren, ihr e fiebrige Sinnlichkeit und ihre prickelnde Erotik.
Die androgynen Wesen kriechen dann unter den weiten Venus-Rock und vergnügen sich dort sichtbar pulsierend.