Anfangs- und Schlussbild sind gleich. Mit weißen Tüchern verhüllt sitzen die Götter in einem unendlich scheinenden Tunnel. Ein Ring, der sich schließt. Götz Friedrichs Ring-Klassiker kann zu allererst wegen seiner Bilder nicht vergessen werden. Sie prägen und geben mehr als eine Ahnung von der Größe des Werkes.
Zeitlose Bilder sind es. Natürlich hat Götz Friedrich seine Verortungen gehabt, darüber gibt das von Norbert Ely unter Mitarbeit von Bühnen- und Kostümbildner Peter Sykora herausgegebene Buch zum Ring von Götz Friedrich (Wien 1987) detailliert Auskunft. Doch die Umsetzung ist offen genug, um auch auf ganz andere Gedanken zu kommen. Die Phantasie wird nicht eingesperrt.
Wir gehen im Tunnel voran, von Station zu Station, mal öffnet sich der Blick, dann wieder müssen Wände gesprengt werden. Irgendwann begreifen wir, dass das Ende der Anfang sein wird. Alles, was war…kann wird wieder geschehen. Dieser Ring (Tunnel) umfasst alle Zeiten. Vor allem aber ist dieser Ring grundmusikalisch.
Der Vorabend – Das Rheingold, 8. Januar 2014
Die mit Grubenlampen bestückten, von Alberich unterworfenen Zwerge machen bei ihrem Auftritt, aus dem Tunnel nach vorn flüchtend, Gänsehaut. Alberich selbst leider nicht. Eric Owens ist viel zu ungefährlich, auch seine Stimme. Der Gewinner des Abends ist Burkhard Ulrich (Loge). Er ist nach wie vor erste Klasse in dieser Rolle und als Mime. Schön, direkt liebevoll-lyrisch Daniela Sindram als Fricka. Die übrigen Götter (Donner: Markus Brück, Froh: Clemens Bieber, Freia: Martina Welschenbach) ernst zu nehmen, fiel schon schwerer, auch wenn die vokalen Leistungen stimmten. Bis auf Wotan. Mark Delavan ist sicher kein Heldenbariton, seine Stimme ist weich und teils wenig fokussiert, sie trägt nicht, er überzeugt nicht. Der junge, fast unsympathische Gott, der Alberich so drastisch die Hand abhackt, agiert rücksichtslos, planlos. Das zu spielen, erfordert Persönlichkeit. Genauso bei Mime, den Peter Maus zu charakterisieren weiß. Erda (Dana Beth Miller) war seltsam unruhig in der Stimmführung. Die Riesen Reinhard Hagen und Ante Jerkunica bewegten sich in ihren Kostümen sehr sparsam. Die Rheintöchter (Woglinde: Siobhan Stagg, Wellgunde: Christina Sidak, Flosshilde: Okka von Damerau) agierten stimmlich teils unausgewogen.
Das Orchester musste sich erst einfinden und zusammenfinden. Zu unruhig floss der Rhein, zu wenig schön klang der Trompeten-Lichtstrahl auf das Gold. Auch in puncto Hören der Instrumentengruppen aufeinander war noch manches zu tun.
Erster Tag – Die Walküre, 9. Januar 2014
Diesen Wotan werde ich nicht vergessen: sein kurzes Zusammenkrümmen, den Griff an die Brust, bevor ein gebrochener Vater-Gott von der Bühne geht. Terje Stensvold sang an diesem Abend diese Partie zum letzten Mal – er beendet in diesem Jahr seine Sängerlaufbahn. Das ist tragisch, denn seine Rollengestaltung ist ebenso überzeugend wie seine stimmliche Leistung.
Doch der Reihe nach. Peter Seiffert, gerade 60 geworden, fängt als Siegmund schon bei 150% Leistung an. Er hat Kraft und setzt sie ein, wem will er etwas beweisen? Nach solchen Wälse-Rufen ist es schwer, noch eine Entwicklung in Richtung Stärke durch Liebe zu zeigen. Aber alles jubelt! Heidi Melton als Sieglinde stellt mit ihrem klaren, kraftvoll jugendlich dramatischen Sopran Brünnhilde (Linda Watson) in den Schatten – das ist auch nicht alltäglich! Wo Linda Watson mezzavoce singt, gefällt sie, hat wunderbare Piani. Aber als Tochter bleibt sie kühl. Bei mir kommt nicht an, dass sie leidet.
Hunding (Reinhard Hagen) verhört Siegmund. Seine Mitläufer richten ihre Taschenlampen wie Schwerter auf ihn. Ein sehr starkes Bild. Aber Reinhard Hagen hat einfach eine zu sanfte Stimme für diese Szene.
Die Auseinandersetzung Wotan-Fricka, sein Sturz nach „Nimm den Eid!“ ist hervorragend gesungen und gestaltet. Stärker noch wirkt es, wenn Wotan am Ende des Monologes auf die Macht verzichtet („So nimm meinen Segen, Nibelungensohn! Was tief mich ekelt, dir geb’ ich’s zum Erbe, der Gottheit nichtigen Glanz: zernage sie gierig dein Neid!“), sich seiner Machtzeichen (Mantel, Brustpanzer, Jacke) entledigt und ein Mensch wird, wie alle…
Fricka (Daniela Sindram) ist Wotan wunderbare Partnerin auf Augenhöhe. Schade nur, dass während beider Szenen die 3 Modelle zerbombter Städte nicht ins Spiel einbezogen werden.
Die Walküren Josefine Weber (Helmwige), Rebecca Teem (Gerhilde), Martina Welschenbach (Ortlinde), Rachel Hauge (Waltraute), Dana Beth Miller (Siegrune), Christina Sidak (Rossweiße), Ronnita Miller (Grimgerde) und Ewa Wolak (Schwertleite) überzeugen lautstark. Was vor fast 30 Jahren aufregte, ihr Lederlook, ihre Liebkosungen für die gefallenen Helden, ist längst keine Provokation mehr.
Bis auf den Spannungsabfall ausgerechnet bei der (zerdehnten) Todesverkündigung war der Abend orchestral dicht und überzeugend. Freilich kommen bei Donald Runnicles die Steigerungen immer sehr plötzlich…
Zweiter Tag – Siegfried, 10. Januar 2014
Das ist der Abend für die Kinderseele in mir: Wenn Siegfried mit einem Schwert-Streich die phantasievoll eingerichtete Werkstatt von Mime mit großem Getöse zusammenbrechen läßt! Dann reißt der Kulissen-Wald auf, letzte schwarze Vorhänge zerwehen und vor Siegfried liegt ein weiter, heller Weg. Jubel nach dem 1. Akt! Vorher zeigen Burkhard Ulrich und Lance Ryan eine Meisterleistung an Beziehungsspannung und Agilität. Und Ryan singt schön kraftvoll das Schmelz- und Schmiedelied.
Die Pause vor Beginn des 2. Aktes dehnte sich unendlich, eine Ansage verweist auf technische Probleme – mit dem Drachen??? Sein Fauchen und Zischen übertönte später die Musik. Vorher durfte Lance Ryan zeigen, dass er im Piano eine wirklich klangvolle Stimme hat. Und wieder bleibt Alberich (Eric Owens) unter den Erwartungen. Aber auch Donald Runnicles, dem die Spannung in diesem Akt besonders deutlich abhanden kommt.
Wie Wotan bei dem tobenden Vorspiel zur 1. Szene des 3. Aktes ruhig herum stehen kann, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Wieder fehlen Mark Delavan die Höhen, das Volumen, der Klang, die Darstellung. So geht kein Wanderer mit zerbrochenem Speer ab. Bestes Szenenbild: Nach dem Gespräch Wanderer-Siegfried die Verwandlung zum Feuerzauber – viel Rauch, eindrucksvolle Feuerglut, die erlischt, wenn Siegfried kommt.
Am Ende sind Ryan und Susan Bullock überfordert, was aber auch ein wenig an der schwierigen Tempokoordination lag.
Dritter Tag – Götterdämmerung, 12. Januar 2014
Quasi nebenbei kann man bei Götz Friedrich lernen, wie wenig Aufwand (rote Seile in der Nornenszene) nötig ist, um einen guten Effekt zu bekommen. Beste Nornen waren vorhanden (Ronnita Miller, Ulrike Hetzel und Heidi Melton).
Gutrune war mit Heidi Melton geradezu überbesetzt, Markus Brück ein sehr guter Gunther. Endlich singt Eric Owens einen ernst zu nehmenden Alberich. Neben dem Orchester bekam Hagen (Hans-Peter König) dem meisten Applaus. In der von mir mit Spannung erwarteten Waltrauten-Szene ist Anne Sofie von Otter mehr eine erzählend-klagend-bittende Walküre, keine, die wirklich vor Angst zittert und mit Brünnhilde kämpft. Funken sprühten zwischen beiden jedenfalls keine. Aber in puncto Stimmschönheit dieser Waltraute war alles gut.
Stärkste Szenenbilder: Siegfried tot auf der Bühne, die Mannen in schwarze Tücher verhüllt. Der Trauermarsch: Götz Friedrich will ihn nicht im Sinne einer Demonstration verstanden wissen, sondern als Beginn einer Grablegung. „bei der die Elemente in Aufruhr geraten“ (Ely, S. 172). Wagner hat ff notiert. Bei Runnicles geht es nur in vierfachem Forte, man hat den Eindruck, Gewalt soll proklamiert werden und es wird geschossen.
Am besten gefiel mir, wie intensiv, konzentriert, max. im mezzoforte Susan Bullock „Starke Scheite“ gesungen hat. Bei allen Einschränkungen: sie geht an ihre Grenzen.
Große Szenenbilder: Finale 2. Akt: Hochzeitszug und Blick von Brünnhilde auf Hagen. Zuletzt der in der Tiefe beleuchtete Tunnel mit dem Anfangsbild (Götter in Weiß) – auch wenn die Illusion nicht ganz gelungen ist (Statisterie war etwas zu langsam).
Für das Orchester und seinen Dirigenten war dies der stärkste Abend, mit flüssigen Tempi, ohne zu starke Zäsur vor dem Liebesmotiv.
Damals hat Götz Friedrichs Ring verstört. Nach 30 Jahren kann sich das keiner mehr vorstellen. Ich will mir nicht vorstellen, dass in 30 Jahren der Castorf-Ring normal sein wird. Ich muss es auch nicht, denn der große Unterschied zwischen beiden ist, dass Götz F. mit der Musik, Castorf aber bewusst gegen sie inszeniert.