Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt. (Röm 1,16)
Das Wort Scham hängt mit „Schande“ zusammen, und das ist etwas, was wir unter allen Umständen vermeiden möchten. Die Scham ist da zunächst etwas Gutes. Scham gehört zum Menschsein, sie behütet unser Menschsein und die Gesundheit unserer Seele. Sie ist so etwas wie die innere Grenze zur Sünde: Bestimmte Dinge tun wir nicht, weil wir uns dann schämen würden, und das ist gut so.
Ein Kennzeichen unserer Zeit heute ist allerdings Schamlosigkeit. Alles wird an die Öffentlichkeit gezerrt, der nackte Körper genauso wie das Seelenleben. Die meisten Massenmedien leben davon. Das ist kein Fortschritt, das ist Niedergang! Denn das Wertvolle ist immer umhüllt. Es ist kein Konsumgut. Die Scham nun schützt unsere äußere und unsere innere Intimität. Sie braucht Schutz, weil sie zum Menschsein gehört; sie macht ein Stück der Menschenwürde aus.
Es gibt aber auch eine falsche Scham. Nicht wenige Menschen halten sich für Versager, sehen sich als klein und hässlich, misslungen und wertlos an. Dann schämen sie sich über sich selber, trauen sich nichts mehr zu, verstecken sich, ziehen sich zurück und verkümmern immer mehr. Solche Menschen brauchen Bestätigung und Liebe durch Gott und durch Menschen, um wieder heil zu werden, ihren Wert zu entdecken, zu ihrer Schönheit und ihren Gaben Ja zu sagen und sich auch mit ihren Fehlern anzunehmen.
Paulus hat hinsichtlich des Evangeliums keine falsche Scham. Da ist er schamlos. Für ihn ist das Evangelium etwas ganz Kostbares, das dem Menschen nützt, weil es ihm zum eigentlichen Menschsein, zu seiner Würde verhilft. Paulus hat also keine Scheu davor, mit der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi, der frohen Botschaft von der Liebe und Gnade Gottes, sogar in Schande zu geraten und sich vielleicht niedermachen zu lassen. Er hat keine Scheu davor, weil er aus diesem kostbaren Evangelium heraus glaubt und lebt.
Wer wie er daraus lebt, der spürt diese ungeheure Kraft Gottes, die seine Liebe spüren lässt und am Leben erhält bis in den Tod hinein, ja sogar durch den Tod hindurch.
Das Evangelium ist nun Träger der Kraft Gottes zum Heil der Menschen. Sollte die Scheu, sich ungeschützt den andersartigen Vorstellungen und Lebenshaltungen der Masse der Menschen auszusetzen, etwa größer sein als diese Kraft Gottes, die im Glauben wirksam wird? Denn was sagt dieses Evangelium? Wir hören aus ihm Gottes Versprechen an jedes Menschenkind: „Du bist mir recht. Ich liebe dich. Deshalb kam ich zu dir in die Welt – als Mensch in Jesus Christus. Deshalb habe ich deinen Tod auf mich genommen durch den Tod am Kreuz. Ich will ohne dich nicht sein. Ich will dein Leben, wie gut oder verkorkst es bisher auch war, gegen alle Widerstände der Mächte in der Welt umkrempeln und glücklich machen. Ich schenke dir ein neues Leben, geborgen auf ewig in meiner Hand.“
So hatte Paulus das Evangelium erfahren durch Jesus Christus und den Glauben an ihn hat. Dass Gott ihn so sehr liebt und das für ihn tut – welch ein Glück, welch ein unverschämtes Glück.
Das Evangelium, das hat eine enorme Kraft, wirkt wie Dynamit. Durch es wird das ganze Leben neu. Wer so unverschämtes Glück hat, der schämt sich nicht. Es ist wie bei Verliebten, die sich nicht genieren, sich auf der Straße zu küssen. Manchen, der vorüber geht, berührt das peinlich. Manche empfinden das als anstößig. Aber für die Liebenden ist das ein ganz normaler Ausdruck von Unbefangenheit. Unbefangen sein heißt, ich lasse mich durch nichts davon abhalten. Die Liebe, die beide verspüren und sie sich sagen und sich zeigen müssen, lässt die Scheu, durch andere, die andere Vorstellungen und Lebenshaltungen haben, bloßgestellt zu werden, weichen. Sie ist stärker, sie befreit.
Darüber sich schämen? Das geht eigentlich gar nicht, darüber kann man sich nur freuen! Und worüber man sich freut, das sagt man normalerweise auch gerne weiter. Denn nun, voller Vertrauen auf Gottes Liebe und Gnade, stimmt unser Leben wieder. Wir bekommen ja unseren Wert wieder. Und das ist es wert, weitergesagt zu werden.