Jesus Christus spricht: Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.
Aus dem Textzusammenhang gerissen ist dieser Satz Jesu missverständlich und macht sich an der Frage fest wie: Wieso ist die Liebe so etwas Besonderes, dass sie quasi als Kennzeichen von Jesus-Anhängern gelten soll? Denn Liebe gibt es doch auch zwischen Menschen, die nicht zu ihm gehören. Viele von ihnen begegnen anderen mit Nächstenliebe, ja sogar mit Feindesliebe. Sind sie vielleicht deshalb sogar die besseren Christen, auch wenn sie nicht glauben, wie es uns manchmal in Diskussionen entgegengehalten wird?

Der Textzusammenhang, vor allem der vorhergehende Vers bringt Klarheit. Jesus spricht: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“ Er meint eine Liebe zwischen seinen Jüngern, die ihr Vorbild in der Liebe Jesu zu ihnen hat. Diese Liebe war so stark, dass kein Blatt Papier sich dazwischen schieben konnte – jedenfalls seinerseits nicht. Und wenn die Jünger nachließen, hat er sie ermahnt, um sie nicht zu verlieren. In solche Liebe hat er selbst Judas, seinen Verräter, eingeschlossen, indem er ihn nicht vom Tisch des letzten Mahles verjagt hat. Es ist eine Liebe, die in der Liebe Gottes wurzelt. Im 15. Kapitel hören wir Jesus sagen: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch. Bleibt in meiner Liebe.“ Und: „Ich und der Vater sind eins.“ Es ist die Liebe Gottes, in die Jesus nun seine Jünger einschließt. So wie nichts und niemand ihn von Gott aufgrund dieser Liebe trennen konnte (selbst der Tod nicht), so sollen die Jünger aufgrund dieser Liebe, in die sie Jesus nun hineingenommen hat, auch miteinander umgehen. Es soll auch zwischen ihnen kein Blatt Papier dazwischen kommen können. Engster Zusammenhalt bis zum Letzten, so könnten wir auch sagen. Blutsbrüderschaften und Männerbünde – beides ist heute kaum noch anzutreffen – haben in einer Idee des engsten Zusammenhaltes ihre Wurzel.

Die Frage nach dem Woher und dem Wozu solcher engsten Zusammenhalte offenbart jedoch die Unterschiede. Jesus kommt es darauf an, dass das Miteinander seiner Jünger in seiner Liebe zu ihnen und damit in der Liebe Gottes wurzelt und nicht in irgendeinem, vielleicht auch humanistischen Ideal menschlichen Geistes. Solche Liebe ist andererseits erforderlich und daher auch möglich, damit nichts und niemand die Gemeinschaft seiner Jünger aufsprengen kann. Einer soll für den anderen einstehen und da sein –engster Zusammenhalt. Denn es wird auch für die Jünger schwierig, da sich die Menschen gegen sie stellen und sie anfeinden werden, weil ihnen die frohe Botschaft Jesu von der Liebe Gottes und seine Taten nicht ihr eigenes Konzept passen.

Darauf zielt Jesu Wort: Er mahnt zur Bruderliebe, also zu einer solchen Liebe unter den Christen. Der Evangelist Johannes lässt Jesus mit dieser Mahnung mehrmals zu Wort kommen, denn die Gemeinden, die er vor Augen hatte, hatten unter Anfeindungen und Bedrohungen bereits sehr schmerzlich gelitten. Ihre Existenz und damit auch ihr Auftrag an die Welt standen immer wieder auf dem Spiel.

Bis heute hat sich daran grundsätzlich nichts geändert. Auch wenn in unserem Land Glaubensfreiheit gewährleistet ist, so haben es Christen, wenn sie es mit ihrem Glauben ernst meinen, schwer in einer Gesellschaft, in der mehr als die Hälfte der Menschen nicht mehr zu den Kirchen gehören und vielen der Kirchenmitglieder ihr Christsein nichts mehr oder nicht viel bedeutet. Die, die mit Gottes Wort beispielsweise die Finger in die Wunden der Gesellschaft und den Umgang mit den Mitmenschen legen, die ihren Glauben konsequent leben, werden überhört, ausgegrenzt, oft bekämpft – weniger offen, eher „unter der Decke“. Sie passen nicht in deren Welt, stören nur, stiften Unruhe.

Und: Mit welch einer Wonne wird über Gemeinden und die Kirche hergezogen, wenn Christen schlecht übereinander reden. Im Sinne Jesu wäre es, die Dinge, die sie untereinander oder in den Gemeinden und den Kirchen beschwert, unter sich zu bereden und dann gemeinsam auszuräumen versuchen (erforderlichenfalls auch durch Zurechtweisung). Stattdessen werden sie vielmals ganz bewusst öffentlich gemacht und die Personen –obwohl es ihre Geschwister im Glauben sind - bloß gestellt. Da ist es auch kein Wunder, dass viele Stimmen laut werden, die nicht nur die Kirche angreifen, sondern sie an den Pranger stellen als eine besonders verwerfliche Institution (dazu werden die Schattenseiten ihrer Geschichte genüsslich und verzerrend ausgebreitet), die kein Recht mehr habe, ernst genommen zu werden. In der Tagespresse bekommt man fast täglich solche Leserbriefe zu lesen.

Jesus Christus spricht: Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt. Dieser Mahnung Jesu an uns Christen ist nichts von seiner Aktualität zu nehmen und sollte Anlass sein, uns und unser Verhalten zu überprüfen und es erforderlichenfalls zu ändern.