Vor mir liegt „Gondroms Festspielmagazin“ aus dem Jahre 1987. Dieses Heft, von West nach Ost geschmuggeltes Geschenk, war mein erstes und einziges "Stück Bayreuth", das ich gehütet habe wie einen Schatz. Was darin berichtet wurde, war für mich unerreichbar: Festspiele - „Lohengrin“ - Peter Schneider, im Heft ausführlich interviewt. Viele Jahre lang stand es für meinen Traum. Doch manchmal erfüllen sich Träume anders und zu anderen Zeiten: im konkreten Fall 21 Jahre später.
März 2008, „Parsifal“ in Dresden, Peter Schneider am Pult. Ich erlebe, dass er die Wirkung hervorzubringen vermag, die Wagner kalkuliert hatte. Dass er mit höchster Intuition um das weiß, was hinter den Noten steht, um das Drama, die Erlösung – ja um die verwandelnde Kraft dieser Musik. Das ging unter die Haut. Der Abend war eine Sternstunde. Ich ging mit dem Gefühl nachhause, durch die Musik innerlich bei mir selbst angekommen zu sein.
Münchner Opernfestspiele, im gleichen Jahr. Ich habe Karten an zwei aufeinander folgenden Abenden, für „Ariadne“ und „Meistersinger“. War am 2. Abend das Orchester ausgewechselt worden? Natürlich nicht, aber der Dirigent! Der Klang-Unterschied war phänomenal. „Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied.“ Diesem „Wie“ nachzuspüren, fasziniert mich seitdem immer aufs Neue. Es ist mir eine Freude, mich seit 2008 auch in meinen „Merker“-Berichten damit auseinandersetzen zu dürfen. Bei der Vorbereitung dieses Beitrages fand ich im „Merker“ 9/1984, in dem von mehreren deutschen und österreichischen Mitarbeitern Peter Schneiders erstes Bayreuther „Ring“-Dirigat kommentiert wird, folgende Sätze: „Seine Wiedergabe war die hörbar gewordene Tat eines Liebenden, dem das Werk alles ist. Schneider dirigierte nicht nur ‚sein‘ Orchester, sondern das Musikdrama, d.h. er schenkt sowohl den szenischen Vorgängen auf der Bühne als auch den Sängern seine ganze Aufmerksamkeit…Ein ganz neues ‚Ring‘-Gefühl“.Das trifft seine Arbeitsweise ebenso genau wie die Wirkung, die daraus erwächst.
Freilich: Über die Arbeit, die zu tun ist, bis ein Dirigent den Taktstock zum Einsatz hebt, wird wenig gesprochen und berichtet - über die subjektive Aneignung des jeweiligen Werkes, die geistige Auseinandersetzung und den Weg zur eigenen Klarheit über das Stück. Man hört es, ob ein Dirigent den gegangen ist. Wie abhängig der Klang eines Orchesters auch davon ist, ob der Dirigent die hoch qualifizierten Fachkräfte motivieren und ihnen den Raum für Eigenes lassen kann, das sich Orchestermusiker wie Sänger gleichermaßen im Laufe ihres Berufslebens erworben haben, habe ich mehrfach erlebt.
So in Zürich, November 2011: „Don Giovanni“ in glückloser Inszenierung. Doch das Orchester spielt mit spürbarer Freude, manche Musiker haben ein Lächeln auf dem Gesicht. Es ist ein heiteres Miteinander im Vertrauen und Zutrauen, ein samtener, immer wieder auch sinnlicher Klang, und kräftige Dramatik, wenn sich z.B. über Tempi-Steigerungen das Gewitter des 1. Akt-Finales dramatisch aufbaut und entlädt. Die Szenen gehen flüssig ineinander über, die Spannung reißt nicht ab, Peter Schneider vermittelt in jedem Moment allen die nötige Sicherheit und kommentiert, mal mit Schmunzeln oder sichtlichen Bedenken so manchen szenischen Vorgang. Er hat ein untrügliches Gespür für die Tempi (hinter dem viel Forschungsarbeit steckt) und Wissen um die Relationen der einzelnen Teile zueinander. So wird die Musik zum besten Erzähler!
Peter Schneider zählt zum künstlerischen Kernbestand der Wiener Staatsoper, wurde 2004, 20 Jahre nach seinem Debut, ihr Ehrenmitglied und wird im kommenden Jahr dort seine 400. Vorstellung dirigieren können.
Spätestens, wenn er am Pult der Wiener Philharmoniker steht, können Worte seiner Art und Weise der ‚Korrespondenz‘ mit diesem Orchester kaum mehr gerecht werden.
Es ist häufig so, dass die Musik eine Sogkraft entwickelt, sei es im „Holländer“ oder bei dem finalen Jubel in „Fidelio“. „Salome“ unter seiner Leitung, das sind 102 Minuten wie unter Strom! Da fließen Energien zwischen Graben und Bühne, und die Musik selbst ist die Energiequelle. Sie so zu interpretieren, dass sie einen geradezu anspringt, hineinzieht und auch nach den scheinbar in der Luft stehenden Schluss-Akkorden nicht loslässt, das ist groß.
„Elektra“ dirigiert er nicht als Oper mit Finale– sondern als ein einziges Finale von andauernd fesselnder Intensität. Sein „Rosenkavalier“ „…ist ein Traum…“, vor allem wegender Übereinstimmung zwischen den Intentionen von Richard Strauss und ihrer Realisierung! Er kennt Partitur und Mentalität.Der raffinierte Klangzauber, die Ironie, die Burleske, aber auch das Gemüt – nichts kommt zu kurz. Und immer hört man das Herz hinter der Musik. Unvergessen auch die Leichtigkeit, mit der er in den letzten Jahren in Wien, Dresden und Zürich, die „Schweigsame Frau“ zu neuem Leben erweckt hat und der musikalische Humor, mit dem er hoffentlich bald auch wieder „Arabella“ dirigieren wird.
Auf unsere immer wieder gestellte Frage nach dem „Wie“ hat er geantwortet: „Ich mache nur, was in der Partitur steht.“ Die Partitur wörtlich zu nehmen, dieses Credo hat ihn vor einer, wohl der größten, Versuchung für Dirigenten bewahrt: zu glauben, mit einem Werk fertig zu sein. Peter Schneider studiert jedes Werk, gleich, wie oft vorher von ihm dirigiert, vor jeder Aufführung neu, gewinnt in den unerschöpflichen Werken neue Einsichten, prüft, was anderen als Tradition (er würde vielleicht „alte Dummheiten“ dazu sagen) gilt. Er will verstehen, warum ein Komponist etwas so und so komponiert hat und was er damit zum Ausdruck bringen will. „Der Komponist hat schon inszeniert.“ Und indem er der Intention des Komponisten genau folgt, erreicht er einen Ausdruck, eine Intensität, die eben nicht hineingebracht, sondern herausgeholt worden ist.
Der „ Merker“ begleitet Peter Schneiders internationale Karriere seit Anfang der 80er Jahre. Sein Dirigentenleben für Wagners Werk ist darin ausgiebig kommentiert. Für Wagner hat er wieder und wieder den Mount Everest der „Meistersinger“ erklommen und kein anderer hat so oft „Lohengrin“ in Bayreuth dirigiert. 20 Spielzeiten zwischen 1981 und 2012, 143 Vorstellungen insgesamt – damit holt ihn auf dem grünen Hügel so schnell niemand ein.
Dass ich dort „Tristan“ drei Jahre lang unter seiner Leitung hören und so manche Veränderung in der Interpretation entdecken durfte, macht mich unendlich dankbar. Peter Schneider weiß, welche Stürme wie zu bestehen sind; welche Meere er befährt, wo deren Untiefen sind und wo er ankommen will. Ihm gelingt die Balance – und wir wissen, sie ist ein Kraftakt und erfordert höchste Konzentration. Dass aber (für mich!) Bayreuth in Sachen Klang gar nicht das non plus ultra sein muss, habe ich erst im vergangenen Jahr begriffen, als er „Tristan“ in Essen und Wien dirigierte und mich der Klang förmlich verschluckt hat.
„Der Interpret ist Sachwalter und Dolmetscher“ betitelte Monika Beer 1987 das Festspielinterview mit Peter Schneider. Darauf legt er Wert und darin ist er sich treu geblieben. Ein Professionsberuf lebt von seiner Glaubwürdigkeit – und die kommt nun einmal aus der Koppelung von Beruf und Person, von Persönlichkeit und Fachkenntnis.
Peter Schneider übt seinen Beruf mit Bescheidenheit, Demut, Bewunderung und Dankbarkeit den kreativen Genies gegenüber aus. Bravo, Maestro! Mosaiksteine, die von der besonderen Wirkung seiner Interpretationen zeugen, haben wir ‚Merker‘ viele sammeln dürfen.
Ein vielstimmiges Danke und herzliche Geburtstagsglückwünsche von der Merkergilde!