„Wo fühlen Sie sich am wohlsten?“, wird ein Ehepaar am Rande einer Freizeit- und Touristikmesse vom Rundfunkreporter gefragt. Die Antwort der Frau verblüfft ihn zunächst: „Dort, wo wir mit Menschen zusammen leben, die Achtung voreinander haben, freundlich sind, liebevoll miteinander umgehen, geduldig und hilfsbereit sind.“ Ja, das hatte er nicht erwartet. Er dachte, sie würden über ihre schönsten Erfahrungen an Urlaubsorten in der Welt erzählen. Stattdessen redeten sie über das Zusammenleben mit anderen Menschen in ihrem Alltag. Es ist ihnen offensichtlich wichtiger als die ganze gekünstelte und hochgezüchtete Freizeit- und Eventkultur.
Viele denken ähnlich. Denn dass unser Miteinander im Alltag oft ganz andere Seiten hat, erfahren wir täglich – manchmal auch persönlich schmerzhaft, oft jedoch über die Medien. Da freuen wir uns, wenn wir nicht mit Menschen zu tun haben, die es uns und anderen aus irgendwelchen egoistischen Gründen schwer machen und das Gemeinwohl durch ihre Lebensweise und ihr Verhalten mit Füßen treten.
Im Spruch für diesen Monat lesen wir von Paulus: Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. Es fällt auf, dass diese Verhaltensweisen eigentlich ganz menschlicher Qualität sind und mit dem Glauben doch zunächst wohl kaum etwas zu tun haben. Es gibt viele Menschen, die zumindest so zu leben versuchen, ohne dass sie gleich Christen sind. Die Frage muss also an Paulus gestellt werden, warum er diese Verhaltensweisen in den Zusammenhang mit dem Glauben stellt. Der Textzusammenhang, aus dem der Monatsspruch entnommen ist, sagt uns: Menschen ohne Glauben leben nach ihren eigenen Gesetzen und Regeln, woraus sie ihren eigenen Verhaltenskodex ableiten über das, was gut und was böse ist. Die Einbildung, dass man so auch genau weiß, was gut ist und was böse, lässt solche Menschen dann allzu oft unbarmherzig werden. Und das Streben, ein immer besserer Mensch sein zu wollen, lässt ihn überheblich werden über andere. Paulus stellt dem glaubenslosen Menschen nun den Menschen mit dem Glauben an Gott gegenüber: Im Glauben an ihn, wenn ihm also das Herz und das ganze Leben aufgeschlossen wird, wirkt der Geist Gottes so in ihm, dass sein Leben sich verändert und so auch ein neues Verhalten im Zusammenleben mit den Mitmenschen heranwächst. Sich selbst mit einem besseren, liebevolleren Verhalten zu verändern, das kann der Mensch von sich aus nur in einem sehr beschränkten Maße; und er tut das in der Regel auch nur, wenn ihm etwas widerfährt, was zum Umdenken zwingt. Aber aus dem Leben mit Christus wird sein ganzes Wesen freundlich, friedlich, gütig, langmütig usw. Und das nicht nur am Sonntag zum Gottesdienst, sondern im ganzen Alltag. Unsere Natur, unser Charakter, unsere Veranlagungen werden durch Gott durchdrungen und gewandelt. Sie wachsen und reifen heran wie eine Frucht.
Der Geist bewirkt ein Verhalten, zu dem wir ohne ihn nicht imstande sind. Das ist die eine Einsicht. Die andere: Der Mensch ist nicht schicksalhaft festgelegt und eingezwängt auf ein Verhalten, das an Gott vorbeiführt und im ewigen Unheil endet. Er kann „befreit“ werden vom unguten Verhalten zum Nutzen und Glück anderer, kann bewahrt werden vor dem unheilvollen Ende. Vielleicht kennen auch Sie Menschen, die, nachdem sie im Glauben zu Christus gefunden hatten, über sich sagten, sie seien ein anderer Mensch geworden. Vorher dachten sie nur an sich, setzten Ellenbogen gegen andere ein, kümmerten sich nicht um das Schicksal anderer, um deren Rechte und deren Bedürfnisse. Sie verabscheuten sich nun deswegen, bedauerten und bereuten zutiefst. Nun wollten sie wieder gut machen, was sie anderen angetan oder an ihnen unterlassen hatten.
Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Geschichte über die Begegnung Jesu mit dem Oberzöllner Zachäus. Als Jesus in sein Haus und damit in sein Leben trat und es sich daraufhin veränderte, verschenkte Zachäus aus lauter Freude darüber die Hälfte von seinem Besitz den Armen und gab denen, die er betrogen hatte, das Vierfache der Betrugssummen wieder zurück. So widerfuhr den Armen und Betrogenen nicht nur Gerechtigkeit, sondern sie wurden über die Maßen von einem beschenkt, der von Christus verwandelt wurde zu einem Menschen mit Liebe, Freude, Friede, Freundlichkeit und Güte.